Rossini - Die Italienerin in Algier


Pesaro, 11. April 1813: ein 21-jähriger Italiener will unbedingt nach Algerien auf Urlaub fahren. Seine Eltern verbieten es ihm. Aus Trotz verschwindet er nach Venedig und schreibt eine Oper.

Berlin, 11. April 2002: vier junge Menschen wollen nach Algerien auf Urlaub fahren. In Neukölln geht ihr Auto kaputt. Aus Ärger bleiben sie vor Ort und - inszenieren eine Oper.

So oder ähnlich könnten die Geschichten lauten, die im Laufe des Lebens immer wieder zu beachtenswerten Kunstwerken führen, so oder ähnlich kommt es zustande, dass vier junge Leute in der heutigen Zeit die Möglichkeit bekommen im Saalbau Neukölln eine Oper zu inszenieren.

Sehnsüchte treiben den Menschen.
Zur Aufführung kommt eine Oper, die vor Sehnsucht nur so strotzt, Suchen und Sehnen mit Bravour meistert und in uns selbst weckt: Rossinis "Die Italienerin in Algier" soll im grauen, "wagnerschweren" Berlin für italienischen Witz und Esprit sorgen, was die Stadt nach den strengen Wintermonaten dringend nötig hat.
"Für die kurze Fahrt ans Mittelmeer, geb ich meine letzten Mittel her", hörte man es vor gar nicht allzu langer Zeit an einer anderen, volksnahen Bühne der Stadt kalauern; aber an das Mittelmeer muss man nun Gott sei Dank nicht pilgern, man findet es vom 11. April an im Saalbau Neukölln, und nicht nur das Meer.

Mit auf die Reise in fremde Gefilde nimmt uns eine Dame namens Isabella, ihres Zeichens Italienerin und auf der Suche nach ihrem Liebhaber. Warum sie gerade diesen Einen sucht, bleibt uns verborgen, reist sie doch in Begleitung eines Anderen, der gegenwärtig unter ihrer Decke steckt.
Dem nicht genug, gerät sie noch in den Bann eines dritten, Mustafa von Namen und Bey in Algier, der sich nichts sehnlichster wünscht, als eine Italienerin, die ihm "die Freuden der Liebe etwas würzt".
Vollends vertrackt wird ihre Situation, als sie unter Mustafas Sklaven auf ihren vermissten Geliebten trifft.

Kennen Sie sich aus, wer mit wem?
Macht nichts, nicht einmal die Personen Rossinis, vornehmlich die Herren, können sich ihrer Gefühle sicher sein, seitdem die Italienerin ihnen die Köpfe verdreht.
Rossini komponiert ein Spiel über Geschlechterklischees, über Vorurteil und Ressentiments und über vermeintliche Fremdheit und Exotik. Wissen Sie, was ein Kaimakan oder ein Papataci ist?

All das fließt ihm locker und leicht aus der Feder, die Spielfreude kennt keine Grenzen. Zarte Melodien schleichen sich in die Ohren, Koloraturen winden sich durch den Raum und ein ganzes Finale endet vor lauter Verwirrung als dadaistisches Kunstwerk.
Über die Szenerie breitet sich die Folie des Fremden, in den Personen schimmert stets Italien durch und die Musik treibt alles bunt durcheinander. Ist das phantastische Algerien ein realistisches Italien oder eher umgekehrt?

Rossini schickt seine Italienerin nach Algier, um aus der Fremde einen viel schärferen Blick auf die Mentalität seiner Landsleute zu werfen. Wir sind uns jedoch sicher: es müsste nicht Algier sein. Die Beziehungen, die wir bei Mustafa vorfinden, die Lebensumstände und dieses Benehmen, all das kommt uns verdächtig bekannt vor.
Mann und Frau haben sich nicht geändert. Bloß fällt es uns im Spiegelbild des anderen immer leichter, über uns selbst zu lachen. Im Bild des Ausländers besonders.

Aber Achtung. Ehe man sich es versieht, ist man auch schon wieder zu Hause!

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